Nation und Staat: Eine äh… poetische Betrachtung über Identität, Geschichte, Zugehörigkeit und Mytos

61 / 100 SEO Punktzahl

Manchmal, da sitzen der Staat und die Nation nebeneinander auf einer Bank.
Nicht immer auf derselben, aber doch auf einer in derselben Gegend.
Und dann sagen sie nichts. Schauen in den Himmel. Und wissen trotzdem: Irgendwie gehören wir zusammen.

Denn der Staat – der ist so einer, der hat Ordner. Und Akten. Und Stempel in drei Farben.
Die Nation aber – die hat Geschichten. Und Lieder. Und eine Fahne, die bei jedem Windhauch sagt: „Ich bin noch da!“

Und wenn die beiden sich dann begegnen – auf dieser Bank, im Vorbeigehen, in der Geschichte dann nennen die Gelehrten das einen Nationalstaat.
Die Kinder sagen einfach: „Hier wohnen wir.“

Nun ist es so:
In Frankreich, da hat der Staat zuerst den Ton angegeben.
Hat gesagt: „Ich bin jetzt die Ordnung.“
Und dann kam die Revolution und sagte: „Und ich bin jetzt das Gefühl.“
Zusammen wurde das dann Nation. Mit Marseillaise, Guillotine und Marianne auf Briefmarken.

In Deutschland dagegen…
Da stand die Nation lange in der Tür und hat gerufen:
„Ist da jemand?“
Und der Staat – der war noch unterwegs. Im Dickicht der Herzogtümer und Fürstlichkeiten, im Biedermeier und in Bayreuth.
Und so wartete die Nation. Und schrieb Gedichte. Und sang von Freiheit und Einheit.
Und irgendwann kam dann der Staat – ein bisschen preußisch, ein bisschen spät, aber immerhin mit Pickelhaube.
Und sagte: „So. Jetzt bin ich auch da.“

Und so entstanden zwei Wege. Zwei Modelle. Zwei Geschichten.
Und wie das so ist mit Geschichten – sie brauchen Bilder, Mythen und manchmal auch ein bisschen Theaterdonner.

Ach, die Mythen…

Das sind keine Märchen. Nein, das sind Erzählungen mit Herzblut.
Sie sind wie alte Möbelstücke: nicht immer praktisch, aber sie tragen die Kratzer unserer Vergangenheit.
Sie sagen nicht unbedingt, was war
aber immer, wer wir sein wollen.

In Frankreich – da war das der Mythos der Revolution.
„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!“ schmetterte der gallische Hahn, und Marx schrieb sich das auf wie ein Spickzettel für die Zukunft.
In Deutschland dagegen – da flatterte keine Fahne, da flog eher eine Eule.
Hegel nannte sie „die Eule der Minerva“, und die flog erst los, wenn’s schon dunkel war.

Und so stellte man dem Revolutionspathos einen Kulturmythos entgegen:
Goethe, Schiller, Kant – die standen wie Denkmäler im Kopf.
Und Deutschland war nun das Land der Dichter und Denker,
während Frankreich das Land der Schreibenden mit Haltung war – von Voltaire bis Sartre.
Und in Deutschland sagte man: „So einer wie Sartre, das wär uns suspekt.“
Man nannte solche Leute „Mundwerksburschen“.
Aber man hörte trotzdem heimlich zu.

Und dann kam noch der Hermann ins Spiel.
Arminius, der Cherusker, der Römer vermöbelt hat wie andere das Sofa nach dem Umzug.
Man hat ihn zum ersten Deutschen gemacht –
und ihn später gegen Napoleon wieder rausgeholt.
Denn man sagte Rom, aber meinte Paris.
Und als man den Hermann als Denkmal hinstellte, war der Krieg schon vorbei.
Aber der Mythos stand noch aufrecht. Mit Schwert. Und Aussicht.

Die Franzosen?
Die bastelten sich den Vercingetorix,
und später kamen Asterix und Obelix
kleine gallische Gallionsfiguren gegen das große Imperium.
Wobei man nie so genau weiß, wer heute das Imperium ist.
Vielleicht Brüssel. Vielleicht das WLAN.

Aber zurück zu den Mythen.
Sie sind kein Historienkino mit Popcorn.
Sie sind wie ein alter Lehrer, der streng schaut und sagt:
„Du bist gemeint.“

Sie sind Erzählungen, die Räume mit Bedeutung füllen.
Und Zeiten mit Sinn.
Sie strukturieren unser Gedächtnis, geben uns Stolz – oder Demut.
Und sie sagen uns manchmal:
„Sei würdig. Denn andere haben gelitten, damit du heute nicht musst.“

Manche Mythen erzählen von Opfern, andere von Wundern.
Die DDR hatte den Mythos des antifaschistischen Widerstands,
die Bundesrepublik den vom Wirtschaftswunder mit Nierentisch.
Beide erzählten Geschichten – nicht, um zu versöhnen,
sondern um zu unterscheiden.

Und irgendwann waren es zwei Staaten. Zwei Nationen. Zwei Gedenktage.
Und dann kam der Mauerfall – und die Mythen mussten wieder umziehen.

Mythen wohnen übrigens nicht nur in Büchern.
Sie wohnen auch in Bildern. In Festen. In Denkmälern.
Und manchmal merkt man, dass ein Mythos alt geworden ist,
wenn nur noch Reisegruppen davor sitzen und Picknick machen.
Dann hat sich der Schauder verzogen, der einst das Heilige umwehte.

Aber manchmal…
Da weht der Wind durch das Denkmal.
Und ein Kind fragt: „Papa, wer war das?“
Und der Vater sagt: „Ach, das war mal wichtig.“

Und dann fliegt vielleicht irgendwo eine Eule los.
Ganz leise.
In der Dämmerung.
Mit einem Gedanken im Gefieder.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.