Ein beschädigter Kanzler, ein König Merz und ein Kabinett der Gegensätze

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Seit Dienstag, 17:32 Uhr, hat Deutschland einen Kanzler, der bereits bei Amtsantritt beschädigt wirkt. Friedrich Merz, der im zweiten Wahlgang ins Amt gewählt wurde – ein politischer Kraftakt mit einem bitteren Beigeschmack. In den Reihen vieler Beobachter machte sich eher Ernüchterung als Aufbruchsstimmung breit. Und nicht wenige erinnerten sich: Da war doch noch was?

Altlasten: Spahns Masken-Deals und steigende Kassenbeiträge

Die Spuren der Pandemiepolitik sind noch deutlich sichtbar – vor allem in den Bilanzen. Jens Spahn, damals Gesundheitsminister, hatte während der Corona-Krise Masken in großem Stil eingekauft. Viel zu viel, oft überteuert, teilweise unbrauchbar. Am Ende musste der Bund 2,3 Milliarden Euro an Lieferanten nachzahlen – für vorher nicht bezahlte oder streitige Lieferungen.
Quelle: Tagesschau, 2022

Spahn forderte außerdem die Krankenkassen auf, ihre Rücklagen aufzubrauchen, um die pandemiebedingten Kosten zu decken. Die Folge: Die gesetzlich Versicherten bekamen die Quittung in Form stark gestiegener Beiträge.
Quelle: Der Spiegel, 2023

Spahn in der Mitte – oder doch am Rand?

Spahns selbst hat mit seiner Aussage, die AfD wie jede andere Partei zu behandeln, für Unruhe gesorgt – und für Besorgnis. Kritiker werfen ihm damit eine gefährliche Normalisierung rechter Positionen vor.
Quelle: FAZ, 2025

Ein Ministerposten war für Spahn diesmal nicht mehr drin – stattdessen wird er Fraktionsvorsitzender. Eine Art Abschiebeposition mit viel Schein und wenig Gestaltungsmacht?

Klöckner als Bundestagspräsidentin – Belohnung oder Absicherung?

Auch Julia Klöckner hat es geschafft – nicht ins Kabinett, aber auf den Präsidentensessel im Bundestag. Kritiker werten das als taktische Personalentscheidung, um mögliche innerparteiliche Kritik zu neutralisieren. Klöckner war als Landwirtschaftsministerin umstritten, insbesondere wegen ihrer Nähe zur Lebensmittelindustrie.
Quelle: ZDF, 2021

Friedrich Merz, der aktuelle Bundeskanzler und CDU-Vorsitzende, hat im Bundestag mehrfach mit kontroversen Äußerungen und politischen Positionen für Kritik gesorgt. Diese Vorfälle werfen Fragen hinsichtlich seines politischen Stils und seiner Haltung zu bestimmten Themen auf.

1. Aussage über Asylbewerber und Zahnarztbesuche

Im September 2023 behauptete Merz, Asylbewerber würden in Deutschland „zum Zahnarzt gehen, und die Termine kriegen schneller als die deutschen Bürger“. Diese Aussage wurde als populistisch und faktisch falsch kritisiert. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert verglich Merz‘ Verhalten mit dem eines „Onkels im Familienchat“, der Falschinformationen verbreitet. ZEIT ONLINE+2Tagesspiegel+2tagesschau.de+2


2. Vorschlag zur Aberkennung der Staatsbürgerschaft

Im Januar 2025 schlug Merz vor, straffälligen Doppelstaatlern die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen. Dieser Vorschlag wurde von SPD-Chefin Saskia Esken als „rechtspopulistisches Feuer“ kritisiert. Esken argumentierte, dass solche Maßnahmen Eingebürgerte zu Bürgern zweiter Klasse machen würden. tagesschau.de+1Tagesspiegel+1


3. Äußerung über Homosexualität und Pädophilie

Im September 2020 äußerte Merz in einem Interview, dass ein homosexueller Bundeskanzler für ihn kein Problem sei, „solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft“. Diese Aussage wurde als Verbindung von Homosexualität und Pädophilie interpretiert und stieß auf breite Kritik, unter anderem von Jens Spahn und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. ZEIT ONLINE


4. Kritik an Umweltorganisationen

Merz warf im Bundestag Umweltorganisationen wie NABU und Greenpeace vor, gegen demokratische Prozesse und die soziale Marktwirtschaft zu sein. Diese Äußerungen wurden von den betroffenen Organisationen als haltlos und beleidigend zurückgewiesen. t-online


5. Aussagen zur NATO und Ukraine

Im März 2022 stellte Merz einen NATO-Eingriff in den Ukraine-Krieg zur Debatte, was parteiübergreifend als verantwortungslos kritisiert wurde. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, warnte, dass solche Überlegungen Putins Propaganda unterstützen könnten. t-online


6. Kritik an Sahra Wagenknecht

Im Bundestag bezeichnete Merz Aussagen von Sahra Wagenknecht zu Vergewaltigungen im Ukraine-Krieg als „zynisch, menschenverachtend, niederträchtig“ und „beschämend für unser ganzes Land“. Obwohl er sie nicht namentlich nannte, war klar, dass er sich auf Wagenknecht bezog. DIE WELT

Das Kabinett Merz – konservativ mit modernem Anstrich

Trotz alledem: Friedrich Merz hat für seine Verhältnisse ein überraschend modernes Kabinett aufgestellt. Jünger, weiblicher, teils technikaffin. Besonders auffällig: Das neue Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung, das Karsten Wildberger übernimmt – zuvor CEO bei E.ON und Telekom-Manager. Endlich soll die digitale Verwaltung Realität werden.

Auch die Raumfahrt bekommt mehr Aufmerksamkeit – wohl nicht zuletzt als strategisches Gegengewicht zu den Entwicklungen in den USA und China. Dort sind Tech-Milliardäre und Regierungen längst in einem neuen Weltraumrennen angekommen.

Bewährte Kraft und neue Gesichter

Einige altbekannte Namen bleiben – wie der Dobrindt, dessen politische Relevanz zwar sinkt, der aber wohl zu den „Unentfernbaren“ zählt.
Dafür bringen andere Hoffnungsträger frischen Wind:

  • Verkehrsministerium: Patrick Schnieder, ein Verfechter des Schienenverkehrs? Hoffentlich nutzt er sein Amt, um die Bahn endlich zukunftsfähig zu machen.
  • Verteidigung: Boris Pistorius bleibt. Ich denke das ist gut, eine sachliche, unaufgeregte Arbeit seit Beginn des Ukraine-Kriegs hat ihm Anerkennung eingebracht. Er hat ein guten Job gemacht.
  • Integration und Entwicklung: Reem Alabali-Radovan bisherige Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration: Entwicklung– ein Zeichen für die Entwicklungspolitik

Ob diese Strategie langfristig aufgeht, bleibt abzuwarten – genauso wie die Stabilität des Kanzleramtes.

Das Kabinett Merz wirkt aus meiner Sicht in Teilen wie ein Signal an die Mitte – aber auch wie ein fauler Kompromiss mit Parteiströmungen. Ein beschädigter Start, Altlasten aus der Vergangenheit und neue Posten als politisches Pflaster – der Kanzler hat viel zu tun, um Vertrauen aufzubauen.

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